Samstag, 24. November 2012

Cloud Atlas

OT: Cloud Atlas | 172 Min | FSK 12 |
R: The Wachowskis, Tom Tykwer | DE, HK, SI 2012
VÖ: bereits erhältlich (DVD/BD/VOD)
© Warner Bros. Home Entertainment
oder: SONDERANGEBOT - Beim Kauf von zwei Wachowskis gibt`s einen Tykwer gratis dazu!

"The Matrix" war anno 1999 nicht nur ein finanzieller Erfolg und zog zwei Fortsetzungen nach sich, sondern setzte auch die Messlatte in punkto Filmtechnik und Spezialeffekte wesentlich höher. Heutzutage gehören Bullettime und Ultrazeitlupe in vielen Filmgenres – insbesondere den physischen – zum Standardrepertoire. So wie der Sänger Falco in den USA Zeit seines Lebens nie an den Erfolg seines Erstlings „Der Kommissar“ anknüpfen konnte, scheinen auch die Wachowski-Geschwister an ihrem Cyberpunk-Epos klebenzubleiben. Nach der Matrix-Trilogie war es zunächst still um das Duo. „V wie Vendetta“ überzeugte die Fachpresse leider genauso wenig wie der phänomenal vergurkte Live-Action-Epilepsie-Auslöser „Speedracer“. 2009 noch fix den Metzger-Lehrfilm „Ninja Assassins“ produziert und schon planten Sie mit Tom „Lola rennt“ Tykwer die Umsetzung des Buches „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell. Namen wie Tom Hanks, Halle Berry, Hugo Weaving, Jim Broadbent oder Jim Sturgess zergehen auf der Zunge wie ein Zitronensorbet. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass selbst der beste Schauspieler vom Regisseur kaputtinszeniert werden kann – als mildes Beispiel sei hier Tom Hardy in „The Dark Knight Rises“ aufgeführt. Ob dies der Fall war oder nicht? Für Euch habe ich mich durch die verschiedenen Zeitepochen, bis in einen Kinosaal des Jahres 2012 gekämpft, um diese Frage zu beantworten.

Story

"Cloud Atlas" erzählt sechs Schicksale - miteinander verwoben durch sechs Epochen hindurch.

1849 wird der junge Anwalt Adam Ewing während einer Schiffreise von einem Sklaven gerettet und entschließt sich daraufhin gegen die Sklaverei einzutreten.

1936 tritt der junge Komponist Robert Frobisher in die Dienste eines alten Komponisten, wird von diesem aber gnadenlos ausgebeutet bis er sich zu Maßnahmen mit dramatischen Folgen entschließt.

1973 schnappt die Reporterin Luisa Rey Informationen über einen defekten Atommeiler auf, recherchiert aber etwas zu intensiv und wird den Involvierten schnell so lästig, dass diese sich ihrer entledigen wollen.

2012 landet der Verleger Timothy Cavendish durch widrige Umstände in einem Altenheim. Er und ein paar seiner neuen Mitbewohner finden sich nicht mit der Situation ab und beschließen zu fliehen.

2144 steht in Neo-Seoul dem weiblichen Klon Sonmi~451 die Hinrichtung bevor. Einem Archivar erzählt Sie die Geschichte ihrer Reise, die sie zu diesem Punkt gebracht hat.

2346 lebt der Ziegenhirte Zachary in einem postapokalyptischen Hawaii. Eine Botschafterin, Meronym, des hochtechnisierten Precient-Volkes erbittet Zacharys Hilfe bei einer Mission, an deren Ende sich seine Weltanschauung auf den Kopf stellen wird.

Review
Vorweg: Nein, ich habe das Buch nicht gelesen. Jegliche Vergleiche in dieser Hinsicht werden also diesmal ausgeklammert. Ehrlich gesagt fällt es auf den ersten Blick nicht ganz leicht zu so einem Film ein Review zu formulieren. Sechs Episoden. Jede will ein anderes Genre bedienen. Sci-Fi, Öko-Thriller, Dramady und andere. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stories nicht chronologisch erzählt werden. Munter wird zwischen den Jahrhunderten gesprungen. Da überschneidet sich der Monolog aus dem 22. Jahrhundert schon gerne als Off-Text mit der Story aus 2012. Dieser Erzählstil wird knapp drei Stunden durchgezogen. Generell ist also angeraten Sitzfleisch, Red Bull und eine gehörige Portion Interesse mitzubringen. Andernfalls werden einem spätestens nach der ersten Hälfte die Augen zufallen. Das liegt nicht daran, dass die Geschichten für sich genommen nicht interessant sind - das sind sie durchaus - sondern vielmehr daran, dass man - teilweise auch durch die Montage - zu der Hälfte der Figuren keine emotionale Bindung aufbauen kann. In verschiedene Rollen zu schlüpfen bedeutet mehr als nur verschiedene Kostüme zu tragen. Man muss den Darstellern natürlich auch mehr zutrauen als nur das Übliche. Mutig wäre es gewesen Hugo Weaving eben nicht wieder als den klassischen zwielichtigen Bad Guy zu besetzen - und das in jeder Epoche, 2012 auch als Frau (!) - oder Hugh Grant nicht als Karikatur seiner Rollenklischees zu inszenieren. Aber bei einem Independent-Film geht man diesbezüglich vielleicht auch eher auf Nummer sicher. Zugeständnis an dieser Stelle.

Kurzer Einblick aufs technische Handwerk: Während Tykwer den Focus auf den Mensch in der Geschichte legt - sprich von 1936 bis 2012 existierten Menschen nur im Close Up und in der Halbnahen - merkt man den Wachowskis ihre Wurzeln, welche definitiv in Animes wie "Akira" und "Ghost in the Shell" liegen, überdeutlich an. Supertotale Einstellungen werden nicht zum Establisher - man weiß ja eh kaum wo man sich gerade befindet - sondern verdeutlichen das Alleinsein der Protagonisten. In der Episode um den Klon Sonmi~451 (unglaublich gut: Doona Bae) fallen dem geneigten Betrachter generell viele Einstellungen und streckenweise ganze Sequenzen auf, die verdächtig an "Ghost in the Shell" erinnern - vom futuristisch-asiatischen Setting mal ganz abgesehen. Etwa wenn Sonmi über einen Marktplatz schlendert und Dialoge über Leben und Tod hält, scheinen gewisse Anklänge an Mamoru Oshii`s Klassiker zu existieren. Da drängt sich einem die Frage auf: Warum war hier nicht der Mut da, aus diesem Segment des Films direkt ein Anime zu machen? Zur Technik bleibt nicht viel zu sagen. Die Musik ist grandios, die deutschen Synchronsprecher sind bestens (ab)gestimmt - allen voran natürlich Tom Hanks` Ersatzsynchro Joachim Tennstedt (u.a. Walter White in "Breaking Bad") - und die Bilder sind selbstverständlich gestochen scharf AUCH wenn hier und da mal scharf gestochen wird. Da war die Freiwillige Spaßkontrolle (FSK) auch gar nicht zimperlich und verpasste dem Streifen die grüne Zwölf (bedeutet in Begleitung der Eltern ab Sechs!). Beachtlich, wenn man bedenkt, dass es in dem Film bezüglich Selbstmord, Exekution und allerlei anderem Schabernack nicht unbedingt zimperlich zur Sache geht. Die Behauptung, das hätte etwas damit zu tun, dass der Film mit soundsoviel Millionen an deutschen Filmfördermitteln produziert wurde, kehre ich dezent unter den Teppich und fahre fort. Die Make-Up-Effects sind gut. Ob es jetzt heroisch und ein Statement war Halle Berry weiß, Donna Bae europäisch oder Hugo Weaving asiatisch zu gestalten, um entsprechende Rollen zu besetzen kann ich nicht beurteilen, rein ästhetisch wirkt es streckenweise einfach unschön. Hier bekommt der Film Lacher wo er eigentlich keine haben sollte. Apropos Lacher. Tykwer zeigt Lokalpatriotismus und macht es möglich deutsche TV-Prominenz wie Götz Otto und Katy Karrenbauer als prügelndes Kneipenvolk zu "bewundern" - Glückwunsch dazu. War selten so irritiert. Hugo "Agent Smith" Weaving als Schwester Noakes bekommt von Katy "Walter" Karrenbauer einen Stuhl über den Schädel. Danke Tom Tykwer.

Fazit
Filmcollage, welche durch Darsteller und Ausstattung überzeugt. Freunde der leichten Unterhaltung und entspannten Kinoabenden sind hier leider völlig falsch. "Cloud Atlas" bedeutet Arbeit für den Rezipienten. Dafür wird man mit einem Tom Hanks in Hochform und dem guten Gefühl belohnt, sein Geld nicht verschwendet zu haben.

Für eine Kinokarte bekommt man sechs Geschichten geboten. Wer wach bleibt wird belohnt!


In diesem Sinne,
WolkenKartografierendes Cheerio und viel Spaß bei Eurem nächsten DreiStundenErlebnis

Euer Rob

Trailer zu Cloud Atlas

 

Sonntag, 4. November 2012

Mann tut was Mann kann

oder:  Schmunzelfilmchen: Made in Germany

Til Schweiger hat den deutschen Film auf ein internationales Niveau gehoben. Ob einem nun "KeinOhrHasen" oder "ZweiOhrKüken" zu platt waren, oder "Kokowääh" zu konstruiert gewirkt hat: Der nuschelnde Frauenschwarm trat mit seinen Filmen eine neue Trendwelle an deutschen Romantikkomödien nach amerikanischem Vorbild los. Sepia-Farbfilter, aktuelle Popsongs und kaum noch Erkennungsmerkmale, dass sich die Story in heimischen Landen abspielt. Alles war plötzlich Hollywood. Regisseur Marc Rothemund steuerte mit "Man(n) tut was Man(n) kann" seinen eigenen Beitrag zu dem neuen RomCom (Romantic Comedy) Trend bei - und das ganz ohne Schweiger, produziert allerdings von dessen Lieblingsfinancier Warner Bros. Germany. Für meine eifrigen Leser habe ich mir für knappe 100 Minuten ein Zimmer gemietet, in der Männer WG um Wotan Wilke Möhring und Jan Joseph Liefers. Prost!


Story

Single werden ist nicht schwer, Single sein dagegen...wohl auch nicht. Dieser Ansicht ist zumindest unser Protagonist Paul (Möhring) und beginnt den Film - stellvertretend für seine Grundhaltung - damit sich klammheimlich aus der Bude seines aktuellen Betthupferls zu schleichen. Ein kurzer, witziger Spruch und weg ist er. Seine Einstellung zum Thema Beziehung ändert sich aber (natürlich!) als er mit seinem Teilzeit-Adoptiv-Hund zu dessen Veterinärmedizinerin dackelt - Wuffi hat Depressionen oder Ähnliches - und sich Hals über Kopf in Dr. vet. Iris Jasper (Jasmin Gerat) verliebt. Diese ist jedoch bereits verlobt. Zeitgleich werden seine Freunde Guido (J.J. Liefers), Günther (Oliver Korittke) und später auch der erfolglose Künstler Bronko (Fahri Ögün Yardim) durch zwischenmenschliche Probleme dazu gezwungen bei Paul einzuziehen. Gemeinsam baggern die vier Jungs nun an all ihren Beziehungsbaustellen...
Review
Emotionen hervorzurufen ist eine hohe Kunst im Film und DIE Triebfeder, welche jeden Regisseur  veranlasst, diese oder jene Szene so oder so zu drehen. Regisseur Marc Rothemund hat diesbezüglich seine Hausaufgaben gemacht. Zu gut gemacht. Von der Farbgebung her vermeint man bei ZweiOhrKüken im Saal zu sitzen, aber damit kann man leben. Beim Schnitt wird alles nach Lehrbuch gemacht. Bei Dialogen kann man schön mitzählen und wird überrascht schmunzeln wenn schablonenartig alle drei Sekunden der Cut kommt. Generell hätte man sich bei Kamera und Schnitt etwas mehr Mut gewünscht. Zu oft schießt einem der Gedanke durch den Kopf: "HMM - das sieht gerade genauso aus wie bei...". Wenn Paul von seinem Hund durchs Bild gezerrt wird, schmunzelt man ebenfalls kurz und besinnt sich dann darauf dieselbe Szene schon in dutzenden amerikanischen Filmen desselben Genres gesehen zu haben. Mit Originalität punktet "Man(n) tut..." schon einmal nicht. Man kommt irgendwie nie über`s Schmunzeln hinaus.  Es werden natürlich alle Stereotypen bedient: Playboy, liebenswerter Unglücksrabe, sympathisch smarter Hauptdarsteller und schrullige Nebenfiguren. Damit bedient sich der Film einer Konstellation die bei Simon Verhoevens "Männerherzen" funktionierte, "Man(n) tut was Man(n) kann"  genau deshalb aber plagiative Züge verleiht. Wotan Wilke Möhring wirkt in seinem Spiel teilweise etwas überengagiert, etwa wenn er das dritte Mal im Close Up seinen Freunden hinterherschaut, sein Sunnyboylächeln aus dem Reportoire zaubert und dabei Gesichtszüge aufweist, als würde er das Chilli Con Carne vom gestrigen Abend verdauen. Vielleicht verlangen die Genrekonventionen auch von ihm im Fahrwasser von Schweiger und Co. zu schwimmen. Jan Josef Liefers - den ich ja persönlich als den deutschen Robert Downey Jr. bezeichne - spielt den schamlosen Playboy Guido perfekt. Die Phrase "...XY spielte seine Kollegen an die Wand" ist heuzutage natürlich schon arg strapaziert, würde hier dennoch passen. So cool wie er goldenen Rochèr-Kugeln entblättert, läuft er auch in Badetuchtoga durch die Wohnung, nachdem er über seine Film-Sekretärin im Gästebett geruckelt ist! Schauspielkollegin - und zurzeit sexiest Kurzhaarträgerin auf deutschen Leinwänden - Jasmin Gerat spielt routiniert. Es scheint so als dass ihr auch immer dieselben Rollen angeboten werden: "Toughe, erfolgreiche Frau im Herzenschaos beglückt am Ende den Protagonisten". Theoretisch könnte man ihre Rollennamen austauschen. Im Gegenzug kann man ihr natürlich auch keine Vorwürfe machen, wenn Sie eben diese Rollen am besten verkörpert. Würde ich jeden Tag Makkeroni all`Arrabiata machen, niemand könnte mir vorwerfen, dass ich diese am besten mache. Die restlichen Nasen Yardim und Korittke sind liebenswert vertrottelt. Oftmals zwar mehr als unnatürlich, aber im Gefüge dieses Filmuniversums jedoch authentisch genug, um es ihnen abzunehmen. Viel gefährlicher ist da der Einsatz der Musik. Mousse T. hatte hier die Finger an den Reglern. Gewohnt poppig geht es also zur Sache. Leider feiert man den Produzenten hier zu oft ab und schreitet oft auf einem schmalen Grat, hin zur Musikvideoästhetik. Aber seit "KeinOhrHasen" und "what a man" scheint das ja langsam zur Gewohnheit zu werden. Fuck! Das spricht die U 14 Generation vielleicht an - Kinofreunde werden dann und wann jedoch die Stirn runzeln und überdeutlich seufzen. Auch wenn das jetzt zu hochtrabend daherkommt: Den einzigen Fehler den der Film macht ist, dass er eben keinen macht - er traut sich im Endeffekt zu wenig um wirklich aus der Masse hervorzustechen.

Fazit
Innovativ ist anders. Ganz klar. Eine charmante kleine Komödie, bei der es auch nicht stört zwischendurch auf Toilette zu verschwinden. Man schmunzelt, geht wieder und hat zumindest nicht das Gefühl sein Geld verschwendet zu haben. Das Ensemble dürfte jedem "Ladykracher"-Zuschauer und Beobachter des Privatfernsehens bekannt sein. Empfehlenswert für alle Frauen die kurz vor der Hochzeit stehen (um dann zu hoffen dass auch bei Ihnen Herr Möhring mal klingelt) und alle Männer die sich in ihrem Singleleben wenigstens einmal bestätigt fühlen wollen. Fans von "Männerherzen" und "what a man" müssen vielleicht sogar mal lachen...

In diesem Sinne,
Schmunzelndes Cheerio und viel Spaß bei Eurem nächsten Kinofilm.

Euer Robert


Trailer zu Mann tut was Mann kann
 

Freitag, 2. November 2012

Der Kapitän und sein Pirat

oder:  A non-fictional thriller about the extreme called "life"

Des Kritikers Achillesverse ist gleichzeitig sein größtes Potential: Seine eigene Meinung, seine subjektive Sicht auf die betrachteten Werke. Selbstverständlich sind wir Rezensenten immer dazu angehalten neutral zu betrachten. Objektiv müssen wir sein und unvoreingenommen. BULLSHIT! Auch berichtende Formate wie der Dokumentarfilm, die Dokumentation, der Bericht oder das Feature sind niemals (nein, wirklich niemals!) rein objektiv. Zu viele Filter, angefangen beim Regisseur bis hin zum Schnittmeister, wirken auf das Objekt und schlussendlich auch auf das bewegte Bild ein. Von der Vorstellung des objektiven Films müssen sich sowohl Rezipient als auch Rezensent verabschieden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fällt es letztendlich leichter sich auf einen Dokumentarfilm einzulassen. Ein Dokumentarfilm will kein Schulmeister sein, sondern vielmehr eine andere, manchmal auch erste Sicht auf gewisse Sachverhalte geben. Auch die schreibende Zunft muss sich dessen bewusst sein und gerade beim Genre des Dokumentarfilms beachten dass der erste Anspruch ist, das Publikum zu unterhalten. Eine spielfilmhafte Inszenierung ist also durchaus erlaubt und es geht nicht darum, dem Betrachter pure Daten und Fakten zu offerieren. Akzeptiert man dieses Prinzip ist es wesentlich einfacher eine Rezension mit dem nötigen Abstand zu verfassen. Gerade Berufsjournalisten neigen dazu Dok.Filme zu zerreißen, weil Sie den journalistischen Anspruch gefährdet – oder schlicht nicht erfüllt – sehen. Wir betrachten jedoch keine Reportage sondern einen non-fiktionalen Spielfilm! Auf der diesjährigen DOK.LEIPZIG durfte ich mehrere Weltpremieren miterleben. „Der Kapitän und sein Pirat“ war sicherlich nur einer von vielen guten Dokumentarfilmen – gesehen habe ich neun – und doch hat er einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Es war mir ein Bedürfnis einen Rückblick speziell auf diesen Film zu geben. Zu groß war die Gänsehaut, zu intensiv das Gefühl während des Films, als dass ich es nicht hätte machen können. Ob und wann dieses Machwerk jemals eine kommerzielle Auswertung erfahren wird ist unklar. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall.



Story
Die Regisseure Stefanie Brockhaus und Andy Wolff zeichnen die Geiselnahme auf der „Hansa Stavanger“ im Jahr 2009 nach. Der Kapitän Krzysztof Kotiuk erzählt seine Geschichte emotional. Wir begleiten einen gefallenen Seebären zur Therapie, in seine spärliche Wohnung und lauschen seinen Aussagen die gerne im Gegenschnitt vom damaligen Anführer der Piraten konterkariert werden. Der ruhige abgeklärte Somalier berichtet emotionslos und erläutert die Umstände die einen Mann in Somalia zu einem Piraten machen. Die Geschichte ist gekennzeichnet von Respekt. Kotiuk steht Todesängste aus, wird fast erschossen und hat doch Achtung vor seinem Gegenüber. Seine Mannschaft sieht das anders. Später wird in den Medien zu lesen sein, dass er sich zu sehr auf die Piraten eingelassen und nicht zielführend gehandelt hätte. Der Film zeigt ein Bild von einem Captain, der nicht versteht, dass seine Crew ihn nach den Ereignissen öffentlich denunziert und der noch weniger versteht dass ausgerechnet der Pirat ihm so viel Respekt schenkt. Kotiuk versucht das Trauma in einer Thearapie zu bewältigen während der somalische Pirat in den „Schuhen des Kapitäns“ am Strand spaziert - die Kamera immer dabei.

Review
Lobhuddelei liegt mir nicht, lag mir noch nie und wird mir nie liegen. Umso schwerer diesmal Respekt und Hochachtung für dieses Werk auszudrücken ohne in Schwafelei und Gelaber zu verfallen. Die Bilder sind sauber. Stativ und Handkamera wechseln sich oft genug ab um nie als störend empfunden zu werden. Brockhaus und Wolff sind glücklicherweise nicht dem Trend verfallen nur Wackelbilder einzufangen, um die Authentizität des Filmes damit künstlich herbeizuführen. Warum auch? Ein Dokumentarfilm darf schön aussehen. Tut „The Captain And His Pirate“ auch. Er nimmt sich die Freiheit spielfilmhaft inszeniert zu sein. Während der Somalier - permanent auf einem Kokablatt schmatzend – von der Eroberung des Schiffes erzählt, bekommen wir Aufnahmen von der mittlerweile verlassenen, „Hansa Stavanger“ zu sehen. Der Film erlaubt es sich selbst den Schnitt seinem emotionalen Tempo anzupassen. Ob dreiminütige Sequenzen von einem betrübt nach unten schauenden Kotiuk wirklich sein müssen ist sicherlich streitbar, können aber wohlwollend als Mittel der Regisseure interpretiert werden, um die Melancholie des Ex-Kapitäns zu skizzieren. Schon die Tatsache, dass der Pirat als ausführender Täter vor laufender Kamera über die Tat spricht – frei und offensichtlich emotional gefasst – verdeutlichen dem Zuschauer den soziopolitischen Hintergrund dieses Landes und tragen zur äußerst authentischen Atmosphäre bei. Krzysztof Kotiuk wirkt unaufdringlich, posiert nicht vor der Kamera sondern duldet Sie allenfalls. Er ist wichtig im Film, ja, aber nie wichtiger als die Geschichte welche erzählt wird. Musik wird spärlich eingesetzt. Es gibt sie, ist jedoch weder episch noch sonst wie pathetisch. Sie unterstreicht, betont, streicht und klimpert aber dezent im Hintergrund. Am Ende des Films bleibt der Zuschauer im Zwiespalt zurück. Auf der einen Seite haben wir das Gefühl, dass die äußerst einseitige Berichterstattung in den Medien endlich eine gesunde Opposition erfahren hat. Auf der anderen Seite muss man sich eingestehen, dass auch dieser Beitrag die Protagonisten nicht aus ihrem Loch erretten konnte, sondern doch eben nur aufzeigt und auf eine erschreckend packende Art unterhält.


Fazit
Die Story alleine ist hollywoodreif und fesselt den Zuschauer an den Kinosessel. Wer Dokumentarfilme häufiger konsumiert wird sich freuen diesen Augenschmaus genießen zu dürfen. Publikum, welches üblicherweise Mainstreamkino konsumiert, wird sich eventuell an die Form gewöhnen müssen, an lange unbewegte Bilder und Stille. Schnitt und Inszenierung machen die Umgewöhnung jedoch einfach. Der Film betrachtet eine einzige Seite des Vorfalls und will auch nichts anderes als das. Gute Filme aus Deutschland müssen weder KeinOhrHasen, ZweiOhrKüken oder DreiLochStuten heißen und können trotzdem unterhalten. „Der Kapitän und sein Pirat“ ist der Beweis dafür.

In diesem Sinne,
Ein authentisch dokumentiertes Cheerio und viel Spaß bei Eurem nächsten Kinofilm.

Euer Robert


Trailer zu Der Kapitän und sein Pirat
 
 
Der Kapitän und sein Pirat
84 Minuten
FSK k.A.
Deutschland, Belgien, Somalia, 2012
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