Freitag, 1. Juli 2016

Gedanken über Fiktion und Selbstinszenierung

Fiktion

Vormittag. Die Sonne versteckt sich hinter einer sehr löchrigen Wolkendecke. Im Flair ist der Außenbereich überschaubar gefüllt. Kühle Brisen sorgen für mein Wohlfühlklima – Mikrowohlfühlklima – unter dem Sonnenschirm. Menschen menscheln so vor sich hin und ich gaukele meinem Magen mit Espresso und Orangensaft ein Frühstück vor. Musik, der GITS:SAC:SSS OST, untermalt das Kleinstädtische perfekt. Meine Augen formen die Fragmente zu einer Collage und fügen sie zusammen – so wie ich es will: dramatisch, heiter, bewegend.

Ist es diese Macht, die ein Regisseur empfindet? Oder ein Editor? Sind Regisseure Künstler, oder nur Kreative mit Götterkomplex. Und was macht das dann aus uns Autoren? Tippende und krakelnde Allmachtsfantasien? Ist es gesund schöpfen zu können? Und ist es Fiktion, wenn Dinge, die ich auf ein Blatt schreibe, oder in einen Computer tippe, durch echte Menschen dargestellt wird? Wo verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion? Diese Frage hat vermutlich schon viele Menschen in den Wahnsinn getrieben, oder zumindest an dessen Rand. Welche Gründe hat es, dass einige Schauspieler*innen bei Sexszenen darauf bestehen, den Akt wirklich zu vollziehen? Wird an dieser Stelle Fi(c)ktion zu Realität? Oder gaukeln wir uns an dieser Stelle nur vor, sie könnte es werden?

Wenn ich auf der Straße, aus heiterem Himmel, jemanden anbrülle – ohne Intention, ohne Grund – nur um etwas zu (er)schaffen, dass es ohne mein Zutun nicht gegeben hätte, ist dieser Konflikt, ist diese Situation dann Fiktion? Fiktion, weil ein Teil dieses Konflikts von einer selbstgeschaffenen Figur, einer Art charakterlichem Homunkulus, provoziert wurde.

Passiert Fiktion nur auf den angenommenen Wegen, also auf der Bühne, der Leinwand, dem Radio, der CD, kurz: nur als ein, für den Rezipienten konzipiertes, Stück, Buch, Hörspiel, oder als Film? Oder passiert Fiktion just in jedem Moment, in dem ein Individuum absichtlich von seinem natürlichen Habitus abweicht und dadurch seine persönliche Realität verändert?

Selbst/Inszenierung

In wie weit inszeniert Mensch seinen Alltag? Und haben Facebook, Instagram & Co. wirklich Schuld an einer zunehmenden Artifizialität unserer Gesellschaft? Sind die übergrimassierten Selbstportraits der Generation Y wirklich unnatürlicher, als die permanent finster dreinblickenden Mienen der stocksteifen Familienportrtaits des ausklingenden 19. Jahrhunderts? Ich denke nicht. Lediglich die Frequenz, mit der Bilder gemacht werden hat sich erhöht.

Wir inszenieren uns in sozialen Netzwerken genauso wie die Smokingträger früher im Gentlemen's Club. Obwohl Plattformen wie Instagram und Snapchat Momentaufnahmen abbilden sollen, sind sie ein Pool an gestellten Szenen, die lediglich zwei Extreme kennen: besonders schön oder besonders traurig.

Fast schon didaktisch weist uns #sad darauf hin, dass der Verlust eines Familienmitglieds traurig ist. Aber das ist auch nicht weniger platt, als deswegen fünf Tage lang in schwarzen Klamotten herumzulaufen – im Hochsommer. Wenigstens bringen einen Hashtags nicht zum Schwitzen.

Wollen wir in sozialen Netzwerken überhaupt die Wahrheit und das echte Leben sehen? Wäre Food noch Porn, wenn der Teller nicht ein wenig verschoben und die Farben ein wenig intensiviert würden? Bekäme das Sportselfie 112 Likes, wenn es nach dem Lauf geschossen würde?

Bedeutet Mut zur Realität Mut zur Hässlichkeit?

2 Kommentare:

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